Zu Beginn hatten wir kaum eine Vorstellung davon, was es heißt und bedeutet, Spechte zu kartieren. Bisher hatten wir wenige Berührungspunkte mit dieser Vogelart und auch kein besonderes Interesse an ihr. Dies änderte sich jedoch schlagartig, nachdem Jürgen Hinke uns erklärt, wie Spechte und ihre Höhlen zu kartieren sind und uns die wesentlichen Merkmale erläutert hatte, wie wir welche Spechtart identifizieren können. Eifrig machten wir uns noch Ende Dezember 2020 auf den Weg und durchforsteten den Duisburg-Neudorfer Stadtwald nach einem geeigneten Gebiet für unsere Kartierung. Damals legten wir besonders viel Wert auf eine Fläche mit möglichst hohem Eichenanteil, da wir zu dem Zeitpunkt noch davon ausgingen, dass Spechte gemeinhin ihre Höhlen bevorzugt in alte Eichen und Birken zimmern. Es war gar nicht so leicht, ein solches Terrain zu finden, da im Stadtwald die Buche vorherrscht. Doch schließlich wurden wir fündig und führten im unten beschriebenen Gebiet (1) zunächst eine Höhlenkartierung durch. Was erst als zweckmäßiger Beitrag zum Naturschutz gedacht war, entwickelte sich schnell zur Leidenschaft. Inzwischen sind Spechte unsere absolute Lieblingsvogelart. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht über sie sprechen, sie hören oder sehen. Tage, an denen wir kartieren gehen oder einfach so losziehen, um Spechte zu beobachten, empfinden wir als Bereicherung, an denen wir draußen in der Natur sein, viele Eindrücke gewinnen und neues über Spechte und ihre Bedeutung für das Ökosystem Wald lernen können.
Bedeutung von Spechtkartierungen
Naturnahe Wälder bieten Lebensraum für unzählige Arten und sind aus einer Vielzahl von Gründen für den Menschen wichtig. Spechte sind Indikatoren für die naturnahe Waldbewirtschaftung. Einige der insgesamt 9 in Deutschland auftretenden Spechtarten, von denen fünf auch regelmäßig in Duisburg brüten (Bunt-, Mittel- und Kleinspecht, Grün- und Schwarzspecht) bevorzugen als Lebensraum Wälder mit alten Laubbäumen, so der Mittel- und Kleinspecht. Spechte bieten durch ihren Höhlenbau (Übungshöhlen und verlassene Höhlen) nicht nur anderen höhlenbrütenden Vogelarten wie Meisen, Kleibern, Eulen und Hohltauben Unterschlupf, sondern auch Säugetieren wie Fledermäusen, Mardern, Eichhörnchen oder Siebenschläfern. Insekten wie Wildbienen, Wespen, Hummeln oder Hornissen ziehen ebenfalls in verlassene Spechthöhlen. Damit leisten Spechte einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt und zum Schutz von gefährdeten Arten. Von daher ist es als eine Aufgabe von Naturschutz anzusehen, das Spechtaufkommen zu beobachten, auf Veränderungen aufmerksam zu machen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Foto: Thomas Stroh ©
Herangehensweise
Die im Folgenden beschriebene Herangehensweise orientiert sich an den Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands (Südbeck et al 2005: Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands).
Im Duisburger Stadtwald/ Neudorf-Nord wurden bisher zwei Kartierungen von uns durchgeführt.
1. Im Winter/ Frühling 2021 wurde dabei eine bestimmte zu großen Teilen naturbelassene Fläche über ca. 1,4 ha jenseits des Forstweges fokussiert und monatlich in der Zeit von Anfang Januar bis Ende Mai aufgesucht. Die Fläche liegt relativ zentral im Neudorfer Teil des Waldes. Sie wurde ausgewählt, da dort überwiegend Eichen, gefolgt von Buchen, stehen und in Duisburg vorkommende Arten wie Bunt-, Mittel- und Kleinspecht in der Regel in Eichen mit Totholzanteilen ihre Höhlen bauen. Es mussten mehrere Versuche unternommen werden, bis eine solche Fläche gefunden werden konnte. Kartiert und beobachtet wurden in erster Linie Höhlenbäume, die unten (Ergebnisse) Beachtung finden. Das Augenmerk wurde aber auch auf Hack- und Fraßspuren, eventuelle Nachmieter, vorkommende Arten, Brutwache und -Fütterung sowie Hack- und Klopfgeräusche, Gesang, Flüge und Rufe der Brut gelegt. Sämtliche Beobachtungen wurden mit einem GPS-Gerät lokalisiert und schriftlich dokumentiert.
2. Um den Radius zu erweitern, mehr Fläche kartieren und somit vielseitigere Ergebnisse erhalten zu können wurde im Frühling 2022 im Zeitraum von März bis Ende Mai mehrmals monatlich ein bestimmter Rundweg (Forstweg und schmale Pfade) abgegangen. Das kartierte Gebiet umfasst ca. 100 ha. Auf dieser Runde dominieren Buchen, gefolgt von Eichen. Kartiert und beobachtet wurden bewohnte und unbewohnte Höhlen, eventuelle Nachmieter, aufkommende Arten, Brutwache und Fütterung sowie Hack- und Klopfgeräusche, Gesang und Rufe der Brut links und rechts vom Weg. Der Fokus wurde hier auf die Zählung von Brutpaaren unterteilt in vorkommende Arten gelegt. Diese Ergebnisse werden unten dargestellt. Sämtliche Beobachtungen wurden auf einer Karte dokumentiert. 2022 wurde ferner mit Klangattrappen gearbeitet.
Ergebnisse
1. In 2021 wurden auf der Fläche insgesamt 13 Höhlenbäume mit zum Teil mehreren Höhlen (insgesamt 23 Stück) gezählt. 8 davon waren Eichen, eine Höhle konnte als Bruthöhle identifiziert werden, da dort Wachablösungen und Fütterung beobachtet und Rufe der Brut zu vernehmen waren. Fünf weitere Höhlen wurden in Buchen gefunden, auch hiervon war eine als Bruthöhle aus den o.g. Wahrnehmungen kenntlich.
Der größte Teil der Höhlen war auf einer Höhe von acht bis neun Metern angesiedelt (10 Stück), lediglich drei Höhlen wurden auf einer Höhe zwischen ca. 20 und 35 Metern entdeckt. Auf der Höhe von 12 bis 15 Metern konnten insgesamt neun Höhlen gezählt werden (Weitere: 6 – 7 Meter Höhe: drei). Die meisten Höhlen waren in Bäume mit einem Stammumfang von einem bis zwei Metern (sieben Stück) gezimmert, der Umfang des Stammes der weiteren Höhlenbäume umfasste zwischen zwei bis über zweieinhalb Metern (sechs Stück). Eine Vielzahl der Höhleneingänge war nach Süden (bzw. Südwesten/ Südosten) ausgerichtet (17 Stück), einige jedoch auch in nördliche Richtung (6 Stück). Alle in 2021 kartierten Höhlen waren mit großer Wahrscheinlichkeit Buntspechthöhlen.
Foto: Thomas Stroh ©
2. In 2022 wurden 13 Buntspechtbrutpaare gezählt. Es konnten vier Bruthöhlen ausfindig gemacht werden. Ferner wurden je ein Mittel-, ein Klein- und ein Schwarzspechtbrutpaar identifiziert. Für ein Aufkommen von Grünspechten konnten keine Hinweise gesammelt werden.
Foto: Thomas Stroh ©
Anmerkung zu den Ergebnissen
Die Ergebnisse können nach lediglich zwei Kartierungen noch nicht fundiert gedeutet und bewertet werden. Auffällig ist, dass, entsprechend unserer Annahme, ein erhöhtes Spechtaufkommen dort beobachtet wurde, wo viele Eichen stehen. Erstaunt hat uns, dass verhältnismäßig viele Brutpaare in Nähe der Autobahn A3 identifiziert werden konnten.
Exkurs: Spechte als Botschafter des Naturschutzes
Das Wissen, dass Spechte eine wichtige ökologische Funktion einnehmen, sollte nicht nur einer Handvoll Naturwissenschaftern/ Naturwissenschaftlerinnen und Naturschützern/ Naturschützerinnen vorbehalten bleiben. Spechte haben ein hohes Potenzial, um die Wichtigkeit des Naturschutzes in der breiten Bevölkerung populär zu machen:
Die Beobachtung von Spechten (der allgemeine Begriff „Spechte“ bezieht im Folgenden nicht immer alle Arten ein) ist nicht nur denjenigen vorbehalten, die regelmäßig in den Wald gehen. Einmal dafür sensibilisiert, sind sie in den Baumkronen und an den Baumstämmen in Gärten, Parkanlagen, auf Parkplätzen und selbst an stark befahrenen Straßen zu sehen. Klopf-, Hack- und Pickgeräusche sind sofort zu erkennen, genauso wie Gesang und Flugbild. Einige Spechte bauen ihre Höhlen in Hauswände oder nutzen Nistkästen auf Parkplätzen und in Grünanlagen (allerdings eher selten).
Spechte lassen sich gut personifizieren und sind deshalb in der Lage, auch für naturfernere Menschen einen Bezug zu deren Leben herzustellen: Spechte gelten als „Baumeister“ (–„meisterinnen“) oder „Zimmermänner“ (–„frauen“)“ des Waldes, sie können trommeln und damit verschiedene Botschaften übermitteln und bewohnen mehrere Höhlen für unterschiedliche Zwecke, so wie Menschen mehrere Zimmer für verschiedene Funktionen nutzen. Sie schaffen Lebensraum für andere Arten, sogenannte „Nachmieter“ („-mieterinnen“) und sichern so deren Überleben. Sie nutzen Tricks wie die Spechtschmiede (eine Schmiede im Holz um Nüsse und Samen öffnen zu können) oder Resonanzkörper um damit Geräusche zu erzeugen. Witzig ist der Funfact vom „Schluckspecht“ – er pickt in die Rinde und trinkt/ schluckt den Saft des Baumes. Dabei wird der Baum zwar verletzt, aber in der Regel kann er dies gut verkraften. Spechte sind äußerst familiär – Spechtweibchen und –männchen arbeiten zusammen um die Brut zu bewachen, zu füttern und groß zu ziehen. Dabei verausgaben sie sich und widmen ihr Leben gänzlich den Nachkommen. Spechtjunge rufen ununterbrochen, wenn sie Hunger haben und warten aufgeregt am Höhleneingang auf die Eltern zur Fütterung und später auf den Moment, in dem sie davon fliegen können.
Der Schlüssel, der vielen Menschen die Tür zur Natur öffnen und so Begeisterungsfähigkeit für diese wecken kann, lautet: Emotionale Sprache und Vergleiche. Damit kann gezeigt werden, dass sich Mensch und Natur, in diesem Fall Spechte, sehr nahe und ähnlich sind. Spechte möchten nicht ihr Leben lang in derselben Höhle wohnen, wir Menschen ziehen schließlich auch öfter um. Spechte bauen sogar jedes Jahr mehrere Höhlen. Nicht alle werden von ihnen bewohnt, sie üben sich im Bauen und verbessern sich von Mal zu Mal. Sie möchten eben die perfekte Höhle haben. Wir Menschen üben, trainieren und verbessern uns ja auch ständig in vielen Dingen. Die Höhlen der Spechte verfallen aber nicht wie so manche Häuser, sondern laden andere Tiere wie Fledermäuse, Wildbienen, Siebenschläfer oder Vogelarten wie den Kleiber dazu ein, diese zu beziehen. Spechte bieten damit gratis Wohnraum für viele und leisten dadurch einen Beitrag zur Existenzsicherung bestimmter Arten. Man kann das auch als sozialen Wohnungsbau bezeichnen. Das hätten wir Menschen in der Form auch gerne. Einige Spechtarten mögen am liebsten alte Wälder mit heimischen Baumarten. Manche Spechte sind jedoch erfinderisch und ziehen auch in die Nähe von Menschen in Fassaden oder in Bäume, die auf Parkplätzen stehen, wo sie ebenso ihre Nahrung suchen. Der Buntspecht gilt etwa als wahrer Überlebenskünstler. Spechte lieben ihre Babys sehr und sind rund um die Uhr für sie da, um sie mit Futter zu versorgen….
Erfahrungen zeigen, dass Spechthöhlen auf Waldführungen zu den beliebtesten Stationen gehören. Werden Spechte im Rahmen von Kartierungen oder Fotoexkursionen beobachtet, sind Spaziergängerinnen/ Spaziergänger und Passantinnen/ Passanten oft interessiert. Viele Menschen bleiben dann stehen und gucken zu. Manche von ihnen haben noch nie einen Specht gesehen und sind fasziniert. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach nun häufiger Begegnungen mit Spechten haben. Kleinkinder lieben es, mit dem Zeigefinger gegen Baumstämme zu „pockern“ um dort „Larven“ herauszuholen. Wenn keine Baumstämme vorhanden sind, erfüllen auch Küchenschranktüren ihren Zweck….
Ist der Bezug zwischen Mensch und Specht einmal hergestellt, so kommt es automatisch zu neuen Verknüpfungen: Spechte bevorzugen Alt- und Totholz – welche wichtige Funktion erfüllen diese Gehölze? Welche Nahrungsquellen bietet Totholz nicht nur für Spechte, sondern auch für andere Arten? Spechte bauen Höhlen für Nachmieter – warum ist das so wichtig? Einige Spechtarten bevorzugen naturnahe alte Wälder mit heimischen Baumarten oder der Grünspecht Streuobstwiesen – ein Grund, beides zu schützen.
Spechte wecken das Interesse der Menschen, mehr über sie, aber auch über die Natur generell zu erfahren. Dies nicht zuletzt, weil ein Identifikationspotenzial bestehen kann. Was wir lieben, was uns nahe und ähnlich ist, halten wir eher für schützenswert. Deshalb und wegen der besonderen Faszination, die sie in Vielen auslösen, sollten Spechte zu Botschaftern des Naturschutzes ernannt und etwa von Naturwissenschaftlerinnen/ Naturwissenschaftlern, Pädagoginnen/ Pädagogen und Naturschützerinnen/ Naturschützern als solche genutzt werden. Das Wissen über Spechte darf nicht nur einem Kreis von Expertinnen/ Experten vorbehalten bleiben, sondern es müsste Mühe darauf verwendet werden, es an möglichst viele heranzutragen.
Foto: Thomas Stroh ©
Schluss/ Ausblick
Da bisher lediglich zwei Kartierungen (davon eine Höhlen- und eine Brutpaarkartierung) im Duisburger Stadtwald Neudorf-Nord durchgeführt werden konnten, sind die Ergebnisse noch nicht in Gänze zu bewerten. Hierfür ist eine ganzheitliche Langzeitkartierung erforderlich, die unsererseits angestrebt wird. Erste Schritte in dieser Hinsicht wurden bereits unternommen (Stand Februar 2023). Besonderes Augenmerk soll auf Mittel- und Kleinspechte gelegt werden. Diese Arten stellen höhere Ansprüche an ihren Lebensraum, als Buntspechte und es wäre interessant zu sehen, ob der Duisburger Stadtwald diesen gerecht werden kann. So könnten triftige Aussagen über den Zustand des Ökosystems im Duisburger Stadtwald gemacht werden. Ferner ist eine weitere Professionalisierung und Vernetzung mit anderen Naturschützern und Naturschützerinnen notwendig. Als Autodidaktin und Autodidakt stehen wir noch am Anfang – wir lernen von den Spechten, sind uns aber auch darüber bewusst, dass Wissen von Expertinnen und Experten unerlässlich ist und Kontakte zu diesen, genauso wie zu den Vögeln, sehr bereichernd sein können.